Die Digitalisierung hat in vielen unterschiedlichen Branchen weitreichende Veränderungen verursacht. Ganz vorn mit dabei ist der Bereich des Glücksspiels, der aktuell einen fundamentalen Wandel erlebt. Ein wesentlicher Aspekt dieses beschriebenen Wandels ist der Aufstieg des iGamings, also des Online-Glücksspiels. Dieser positioniert einerseits traditionelle Glücksspielanbieter neu und sorgt andererseits auch für tiefgreifende Veränderungen im Glücksspiel-Tourismus. Aber wie wirkt sich das auf die Branche im Detail aus?
Viele Branchenführer, Hoteliers und Marketingstrategen stellen sich heute nämlich die Frage, ob die Bequemlichkeit, mit der sich Millionen von Spielern per Klick aufrufen lassen, den Glücksspiel-Tourismus obsolet gemacht hat. Ich bin Branchenexperte und der Meinung, dass das iGaming den Glücksspiel-Tourismus nicht ausmerzt, aber ihn zwingt, sich neu zu erfinden. Denn der neuerliche Druck verschiebt den Fokus von einem rein spielzentrierten Modell zu einem erlebnisorientierten Ökosystem. Hierdurch ist die Beziehung nicht mehr kompetitiv, sondern zunehmend symbiotisch mit Vorteilen auf beiden Seiten.
Der Aufstieg des iGamings und wieso es mehr als nur ein Trend ist
iGaming ist längst deutlich mehr als nur ein vorübergehender Hype und vielmehr ein Treiber für die tiefgreifende Umwälzung, die wir seit einigen Jahren in der Glücksspielbranche sehen. Das Spielverhalten vieler Millionen Menschen weltweit wurde durch die enorme Reichweite, die zunehmende Benutzerfreundlichkeit und die technologische Innovationskraft nachhaltig geprägt.
Heutzutage gehört iGaming zum Alltag vieler Menschen und ist aus ihrem Leben kaum noch wegzudenken. Die steigenden Spielerzahlen in Großbritannien, den USA, Deutschland und Frankreich sind nur einige der Faktoren, die zeigen, weshalb iGaming auch eine enorme Wirtschaftskraft mitbringt. Aber führt das nicht weiter zur Schwächung des Glücksspiel-Tourismus? Nicht unbedingt.
Der ursprüngliche Konflikt: Bequemlichkeit gegen Erlebnis
Um ein besseres Verständnis für die heutige Situation zu schaffen, müssen wir zunächst einen scheinbaren Widerspruch näher beleuchten. Denn eines ist klar: Landbasierte Casinos verkauften seit jeher nicht einfach nur das Spiel. Sie verkauften vielmehr die Flucht aus dem Alltag. Die Spannung am Craps-Tisch, die Geräusche fallender Münzen bzw. das digitale Surren der Ticket-Drucker, das kostenlose Getränk sowie die tollen Shows und die unterschiedlichen Gourmet-Restaurants sind alle Teil eines Gesamtpakets. Glücksspiel-Tourismus ist nämlich nicht nur das Spiel, sondern das gesamte Erlebnis in seiner reinsten Form.
Dann kam jedoch iGaming und bot Folgendes mit einer beispiellosen Aggressivität:
- Zugänglichkeit: Ständig und überall verfügbare Spiele ohne Reisekosten oder Kleiderordnung.
- Vielfalt: Eine beinahe unendliche Auswahl verschiedener Spieler, die jedes physische Casino bei Weitem übertreffen.
- Anreize: Aggressive und vielseitige Boni, Freispiele sowie Loyalitätsprogramme, die von landbasierten Casinos nicht überboten werden können.
Zunächst schien es, als ob es nur das Eine oder das Andere geben könnte. Denn jeder Euro, der in einen Slot von NetEnt oder auf einem Live-Tisch von Evolution Gaming ausgegeben wurde, schien nicht für einen Flug nach Las Vegas oder einen Ausflug in das lokale landbasierte Casino zur Verfügung zu stehen. Dementsprechend sahen viele traditionelle Betreiber im iGaming eine Bedrohung für die eigene Existenz, einen digitalen Kannibalen, der sie aus dem Geschäft verdrängen würde. Allerdings hat die Zeit gezeigt, dass sich diese Sichtweise als zu kurzfristig erwiesen hat.
Die neue Symbiose: Wie Online die Offline-Welt befeuert
Die besten und fortschrittlichsten Betreiber der Branche erkannten frühzeitig, dass iGaming kein Feind sein muss, sondern stattdessen das Potenzial für ein mächtiges Werkzeug hat. Aus dieser Erkenntnis entwickelte sich eine Omnichannel-Strategie, dank der die physische und digitale Welt miteinander verbunden werden.
1. Marketing und Markenbindung im digitalen Zeitalter
Ein Online-Casino kann auch als ständig verfügbares Schaufenster betrachtet werden. Dementsprechend nutzen große Marken wie MGM, Caesars oder Wynn ihre Online-Plattformen zum eigenen Vorteil und bringen ihre Angebote in die eigenen vier Wände der Kunden. So entwickelt ein Spieler, der monatelang immer wieder in der BetMGM-App spielt, eine Sympathie für die Marke. Und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Spieler für den nächsten Urlaub eine Reise nach Las Vegas und ins MGM-Resort bucht, um dort das “echte” Erlebnis zu genießen.
Hierdurch wird die Online-Präsenz zum Top-of-Funnel Marketinginstrument und hilft dabei, Kunden langfristig sowie virtuell und physisch zu binden, und gleicht sich der Vorgehensweise in anderen Branchen an. Diese setzen ebenfalls vermehrt auf Data Mining, um die nachfolgenden Kundeninteraktionen stark zu personalisieren und damit einen echten Mehrwert zu schaffen, den die Kunden andernorts einfach nicht bekommen könnten.
2. Akquise und Ausbildung einer neuen Spielergeneration
In meinen vielen Jahren als Branchenexperte habe ich oft gehört, dass viele Spieler von der Atmosphäre an echten Poker- und Blackjack-Tischen eingeschüchtert sind. Meist sind die Regeln zu komplex und der soziale Druck zu hoch. iGaming macht den Einstieg allerdings deutlich einfacher, da es als risikofreier Sandkasten fungiert. Junge Erwachsene können die Feinheiten der verschiedenen Spiele lernen, Strategien testen und die Mechaniken der Slots lernen, ohne sich Sorgen machen zu müssen.
Damit erschafft iGaming meiner Meinung nach eine gebildetere und selbstbewusstere Generation von Spielern, die genau wissen, welche Fähigkeiten sie haben und wie sie diese am besten einsetzen können. Denn sobald die Spieler ihre Fähigkeiten in der virtuellen Welt verfeinert haben, sehnen sie sich automatisch danach, diese in der physischen Welt auf den Prüfstand zu stellen. Damit dient das Online-Casino als Generalprobe, während das landbasierte Casino der Hauptauftritt ist, mit dem sich die Spieler der Zukunft beweisen können, ohne vorab unangenehmen Situationen ausgesetzt gewesen zu sein.
3. Datengestützte Personalisierung
Die Fülle an generierten Daten ist vielleicht der größte Vorteil der digitalen Welt. Online-Plattformen können nämlich genau erheben, welche Spiele ein Kunde bevorzugt und wie hoch dessen durchschnittliche Einsätze sind. Zudem ist nachvollziehbar, auf welche Art von Boni dieser reagiert. Diese Daten sind das neue Gold. Ein landbasiertes Casino erhält hierdurch die Möglichkeit, die Besuche auf die Kunden abzustimmen und diesen ein vollkommen neues Erlebnis zu bieten.
Stellen Sie sich einfach einmal vor, dass ich eine E-Mail vom Online Casino erhalte, die sagt: “Sehr geehrter Herr Kellner, uns ist aufgefallen, dass sie online gerne den “Book of Dead” Slot spielen. Deshalb schenken wir Ihnen bei Ihrem nächsten Besuch in unserem Resort in Las Vegas 50 Freispiele an unserem exklusiven “Book of Dead”-Spielautomaten und reservieren Ihnen einen Tisch in Ihrem liebsten Steakhouse.”
Das klingt zwar nach Zukunftsmusik, aber kann für führende Anbieter der Glücksspielbranche bald zur gelebten Praxis werden. Dank der Nutzung von Online-Daten und der Schaffung von Offline-Erlebnissen kann eine einzigartige Customer Journey geschaffen werden, die anderweitig so nicht möglich ist.
Die Evolution des Reiseziels: Vom Casino zum „Integrated Resort“
Das iGaming deckt die reine Tätigkeit des Glücksspiels effizient und bequem ab. Dementsprechend sind physische Standorte dazu gezwungen, einzigartige Wertversprechen (USP) anzubieten. Dieser Unique Selling Point ist damit nicht mehr nur das Spiel allein, sondern vielmehr das dort gebotene Gesamterlebnis. Das Ergebnis? “Integrated Resorts”, bei denen der Casino-Floor häufig nur noch ein Teil eines Unterhaltungs-Ökosystems ist.
Ein Blick auf die Gegebenheiten in Las Vegas verdeutlicht das:
- Unterhaltung: Viele bekannte Stars wie Lady Gaga, U2 und Adele haben dort langfristige Residenzen und bieten regelmäßige Shows. So trat Calvin Harris eine lange Zeit regelmäßig in Las Vegas auf und Cirque du Soleil läuft dort beispielsweise schon seit Jahrzehnten.
- Sport: Las Vegas ist die Heimat von NHL- und NFL-Teams. Zudem werden große Events wie die Formel 1 veranstaltet. Die mit den Ticketverkäufen verbundenen Hotelbuchungen zählen als eine gigantische Einnahmequelle.
- Gastronomie: Las Vegas gilt als Mekka für Sterne-Restaurants, da es nirgendwo mehr an einem Ort gibt. Viele Leute reisen allein schon wegen des Essens und der zahlreichen kulinarischen Möglichkeiten, z.B. in der Business Class, dorthin. Sie sind ein wesentlicher Teil der Reise.
- MICE-Sektor: Las Vegas setzt auf Meetings, Incentives, Conferences und Exhibitions, die einen wesentlichen Grundpfeiler der dortigen Wirtschaft darstellen und für einen steten Influx an Menschen sorgen. Durch die riesigen Kongresszentren wird eine konstante Auslastung der Hotels sichergestellt, die sonst unter der Woche leer bleiben würden, wovon letztlich auch die Unterhaltungsindustrie profitiert.
Obwohl das Glücksspiel die Infrastruktur von Las Vegas mitfinanziert, sind es im Wesentlichen die vielen Attraktionen, die die Menschen anziehen. Damit wird deutlich, dass während iGaming den schnellen Spielbedarf deckt, der Glücksspiel-Tourismus den tiefgehenden Bedarf nach unvergesslichen und multisensorischen Erlebnissen stillen kann.
Abschließende Gedanken: Eine erzwungene, aber fruchtbare Evolution
Um an die Ausgangsfrage des Artikels anzuknüpfen: Hat der iGaming-Aufstieg den Glücksspiel-Tourismus verändert? Ja, und das sowohl wesentlich als auch nachhaltig. Aber im Vergleich zur ursprünglichen Annahme hat er diesen nicht zerstört, sondern zu einer radikalen Neuausrichtung gezwungen. Die Tage, an denen ein paar Spielautomaten und ein Buffet mit fragwürdigem Essen ausgereicht haben, sind damit endgültig vorbei.
Nun hat der moderne Glücksspieltourist die Wahl. Wenn er einfach nur bequem spielen will, während er beispielsweise auf dem Weg von der Arbeit nach Hause ist oder beim Arzt mal wieder länger im Wartezimmer sitzt, greift er zum Smartphone. Aber wenn er stattdessen auf der Suche nach einem umfassenderen Erlebnis ist, bucht er eine Reise zu einem Glücksspielziel, das Weltklasse-Unterhaltung mit exquisiter Gastronomie und einem unvergleichlichen Service verbindet. Das Casino ist in diesem Fall nur die schmackhafte Kirsche auf einer reichhaltigen Torte.
Damit wird auch deutlich, dass die Gewinner dieser Entwicklung die globalen Betreiber sind, die eine intelligente Omnichannel-Strategie nutzen. Dank ihrer digitalen Reichweite sowie deren physischer Resorts können sie Kunden im ersten Schritt binden und im zweiten Schritt dafür sorgen, dass unvergessliche Erlebnisse geschaffen werden, die online nicht auf die gleiche Art und Weise verfügbar wären. Die neue Beziehung zwischen dem aufstrebenden iGaming und dem altbekannten Glücksspiel-Tourismus ist damit ein gutes Beispiel für eine Disruption einer Industrie. Diese hat jedoch nicht zum Tod des etablierten Systems geführt, sondern zu einer Wiedergeburt einer stärkeren, widerstandsfähigeren und attraktiveren Form. Die Würfel sind zugunsten eines integrierten und individualisierten Glücksspielerlebnisses der Zukunft gefallen.
Thomas Kellner ist ein führender deutscher Online-Casino-Experte mit über 20 Jahren Erfahrung in der Branche des Onlineglücksspiels. Als erfahrener Redakteur für das Bewertungsportal casinotopsonline.com spezialisiert er sich auf die Entwicklungen innerhalb der iGaming-Branche. Zudem ist Kellner ein gefragter Redner auf Branchenkonferenzen und setzt sich für mehr Transparenz und höhere Sicherheitsstandards in der Welt des Online-Glücksspiels ein.
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